Herbert Lachmayer

Vorwort zum Katalog
„Ausser Atem, ab 1984“

Die Arbeiten von Norbert W. Hinterberger stehen im Zeichen des Experimentellen: Kunst zu machen als die Probehandlung eines Eingreifens in die Realität und die Figur des Künstlers als das lancierte Selbstexperiment kreativer Grenzgängerei. Skepsis und kritische Selbstbehauptung des Individuums im beschleunigten Zivilisationssprozeß sind ihm ein Anliegen praktischer Alltäglichkeit und nicht die Prämissen eines Pathos, als wäre die Misere der Welt durch eine „substantiellere“  Kunstauffassung zu heilen oder zumindest zu beseitigen. Genau genommen dient die Kunst der Erkenntnis und Orientierung, präzise im Sinnlichen, aber nicht intellektualistisch überhöhend. Ironie, Lust, aber auch Sprödigkeit widerstehen dem zeitgemäßen Sog nach alerter Fetischisierung und Mythologie, der Künstler biedert sich mitnichten dem spiritualistischen Manko gängiger Kunstbeflissenheit an, bleibt der eigenen Widersprüchlichkeit selbstanalytisch treu, ohne sich in eine solipsistische Hermetik selbsgefällig zu flüchten.

Das Problem des professionellen Narzissmus einer zeitgenössischen Künstlerexistenz formuliert sich bei ihm nicht als Stilisierungsschlenker einer mit dem Trendsetting kokettierenden Eitelkeit, sondern als inhaltliches Problem: Bei Hinterberger verbirgt sich ein reflektierter und keineswegs naiv-emphatischer Freiheitsbegriff, der um die historischen Klischees der Sehnsüchte künstlerischer Selbstbefreiung sehr wohl weiß. Diese reife Einsicht im Verlauf einer alternden Moderne verführt den Künstler weder zur zynisch-coolen Pseudogelassenheit postmoderner Überheblichkeit noch lässt er sich dadurch zur selbstmitleidigen Larmoyanz eines Übersensibilisten verführen. Professionelle Selbsttäuschungen, wo ein ästhetisch unaufgearbeiteter Narzissmus durch eine der Mode verpflichteten Etikette der Eitelkeit kompensiert wird, sind Gegenstand von Hinterbergers immanenter künstlerischer Ideologiekritik, die mit den Paraphrasierungen künstlerischen Wunschdenkens aufräumt – ohne theoretisierende Fußnoten und ohne moralisierende Besserwisserei. Empanzipatorische Kunstauffassung wird von ihm nicht zur Distanzleistung einer ästhetisierenden Beobachtungsposition missbraucht: Erfahrung und Lernprozeß seit den Sechzigerjahren sind bei ihm nicht zur Utopienostalgie geronnen, an der man sentimentalistisch haften bleibt.

Die Aufmerksamkeit, den Einsichts- und Freiheitsimpulsen in transformierter Gestalt zu folgen, macht die höchst bescheiden und genau vorgetragene Lebendigkeit und Ironie des Künstlers aus: Rauminstallationen wie „Im Bauch der Maschine“ oder die graphische Serie „Evolution“ sprechen eine Sprache minimalistischer Eingriffe in den bestehenden Raum wie die spielerische Abwandlung eines Wales zum Unterseeboot, ohne in symbolischer Analogie Bedeutsamkeit zu suggerieren. Der Künstler kann zum Werk stets als einer imaginiert werden, der sich spontan und in Heiterkeit von seiner Idee löst, die er in der Materialität des Werkes zurücklässt.

Sein Konzeptionalismus erstarrt keineswegs im Reflexionsgrab der Idee, sondern nützt die offensive Chance fluxusartiger Exquilibrität, die keine Idee bewahren will, die nicht festgehalten werden darf. Andererseits setzt sich Hinterberger direkt und sozusagen vehement mit gesellschaftlich-politischen Themen auseinander, auch wenn diese Problemsichten im gegenwärtigen Kunstzeitgeist unattraktiv sind: „Utopia“ (1989) als aufmunternder Brief an alle Staatschefs der Erde oder der Blankoscheck für den Scheidungsanwalt (1988) für die Ausstellung „Europa heiratet“ an der HDK Berlin, mögen für Missverstehende etwas rührend Direktes an sich haben, diejenigen verkennen aber Hinterbergers Karl-Valentineske Radikalität, die sich im Mitteilungswunsch seiner Kritik am Wahnsinn der Macht, der realen Unmenschlichkeit von anonymen Herrschaftsformen und der obszönen Nähe von Kulturpolitik und Kapital äußert.

Im Verbrauchen des Gags am Anlaß bleibt in subversiver Resistenz aber eine Haltung über – die vielleicht für den Künstler gar nicht so deutlich plakativ werden soll: als wäre dies ein ideologischer Hintergrund, der nur im Kunstwerk angemessen zu uns herantreten dürfe. „Der gläserne Mensch“ (1987), Projekt für das Bundesamtsgebäude Gänserndorf, konfrontiert den Betrachter mit einer stürzenden Figur und den einbetonierten Glasscherben des je schon Zerschellten, drastische Metapher eines namenlosen Scheiterns an den gesellschaftlichen Institutionen zum Beispiel, unspektakulär wie Kunst am Bau und dadurch aber kompromisslos bis zur Verödung des symbolischen Inhalts an der Abgestumpftheit seiner alltäglichen Routinepassanten. Da weiß ein Künstler auch um die platte Vergeblichkeit, mit den letztlich doch auch redundanten Mitteln der Kunst eine vielleicht sehr allgemeine Selbsterkenntnis oder Bedrohung des Individuums anzuprangern, auf dass es deutlich werde. So gesehen bleiben diese gesellschaftskritischen Themen bisweilen in einem Raum schriller Öde hängen, starr, unangenehm intensiv aber nicht moralisierend.

Insofern ist Hinterberger ein Desillusionist, der in diesen Themen kritisch dadurch bleibt, weil er die beschämend reale Banalität einer tiefgreifenden Enttäuschung nicht zum gefälligen Ästhetizismus verklärt, der künstlerisches Erfahrungsderivat zur schockgeeichten Erbauung dienen mag, die den Inhalt ihrer radikalen Einsicht als Kunstgefälligkeit an den Kunstbeflissenen verrät. Hinterbergers Haltung ist eher eine ethische zu nennen, skeptisch und verhalten in der Expansion des individuellen Egos, nicht aus einer Verklemmtheit heraus, sondern im steten Interesse einer Differenzierung und Intensivierung von Lust und sublimer Befreiungsstrategien; wohl wissend, welchen Verführungsstücken und Fallen ein abstrakt expandierender Individualismus im Verfolgen seiner Erfüllung und Befriedigung erliegen kann.

Selbst an diesem, gesellschaftlich in unserer gegenwärtigen Zeit so extremen Grad an Verdinglichung auch aller tiefen menschlichen Verwirklichungschancen als ein letztlich glückorientiertes Individuums – lebensbejahend, nicht dumm, aber trotzdem scheiternd ohne kollektives Drama – lässt die historische Aporie der verhängnisvollen  Geschichte des abendländischen Individuums keine letztgültige Flucht in zenverwandte Selbsttranszendenz als originelle genuine Kulturleistung avantgardistischer Frische zu, selbst wenn Hinterberger eine taoistische Geste als Tee und Aquarell auf Papier „Fernöstliche Gelassenheit“ nennt: über den Ironieschatten der abendländisch-analytischen Selbsterkenntnis springen zu wollen, wäre eine vermessene Allmachtsphantasie, in deren Fixierung trotzend zu verharren uns die unverzichtbare Melancholie nehmen würde.

Diese Melancholie der vergeblichen Wahrhaftigkeit der Existenz als Intellektuelle und Künstler gibt uns allein einen letzten Grund zur Authentizität. Eine kritisch- wie lebendige Produktivität radikalisiert und sensibilisiert zu unnachgiebig abgefordertem Individualismus. Dieser Anpassungsdruck in Werk und Leben macht Norbert W. Hinterberger zu einem aktiv Dekadenten, der nicht in seiner Kompromisslosigkeit unauffällig bleibt.

Jänner 1990

aus:
Norbert W. Hinterberger: Ausser Atem, Ab 1984. Ausstellungskatalog.
(Steyr, Linz, Wien, Rom, Rio de Janeiro, 1992).

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